Zoran Music: Wir sind nicht die Letzten | Non siamo gli ultimi | We are not the Last | 1970 - 1992
Nach dem Tod (nach Dachau) habe ich wieder in das Leben zurück gefunden.
Ja. Aber ich war nicht mehr derselbe. Ich habe meine Überschwänglichkeit eingebüßt, ich war weniger extrovertiert. Ich bin mir bewusst geworden, dass die Außenwelt für mich immer unwichtiger geworden ist und dass ich vor dem Oberfl ächlichen gefl üchtet bin.
Alle sind vor dem Tod gleich und sogar die Dinge, die wir für das Wichtigste alten, sind in Wahrheit nicht viel wert.
Das ist der Schatz, den ich aus dieser schrecklichen Zeit mitgenommen habe. Ein Schatz, der mir vor allem als Mensch und auch als Maler von Nutzen war. Ein Schatz, den ich absolut nicht verlieren will. Ich hoffe, dass diese Vision für immer in meinem Unterbewusstsein bleibt.
Zoran Music: Dialogo con l‘autoritratto, Paolo Levi, Electa, Milano, 1992.
Im Herzen der Welt erhebt sich eine Schädel-Stätte. Das ist gute alte europäische Kosmogonie, unter uns Abendländern wissen wir, wovon wir sprechen. Eine Schädelstätte und rund herum dreht sich die Welt: Unsere Welt.
Rund um die schädel-förmige Kuppe in der Vorstadt von Jerusalem erheben sich die Leichenhaufen, wie Trabanten. Die Römer haben kurzen Prozess gemacht mit den aufständischen Juden, welche ihrerseits bereits eine ganze Heilsgeschichte hinter sich hatten. Auf der Suche nach der Schädel-Stätte machten die Kreuzfahrer kurzen Prozess mit den rund herum wohnenden Muslimen, Juden, Orthodoxen. Die Kreuzfahrer singen „ Großer Gott wir loben Dich“, während der Kriegsberichterstatter eifrig notiert, dass der Pegelstand des Blutes der Erschlagenden die Zäume der Rosse erreicht.
Himmelhoch türmen sich die Leichenhaufen, jeder rund um eine Ideologie, welche logisch begründet, warum er hat geschichtet werden müssen. Sie verstellen den Horizont. Unseren Horizont.
Es geht von Zoran Music`s Leichenhaufen längst nicht mehr um Kunst oder dergleichen. Kunst, das ist die Meisterschaft, welche die Anmut der dalmatinischen Landschaft ebenso per saecula saeculorum hinschreibt, wie die allersetzte, dennoch erlösende Konvulsion eines Menschen, der am Galgen hängt.
Man hält sich nicht mit kunst-lüsternden Eitelkeiten auf, bei einem Maler, der das ohnehin alles im Handgelenk hat, den Zauber einer kupferhaarigen Venezianerin und die Anatomie eines zerstörten Kehlkopfes, siehe oben.
Es geht, wenn von Music die Rede ist, um Wahrhaftigkeit, welche im Zeugenstand des Welt-Standgerichtes gefordert wird.
Zoran Music verstellt die Sprache der Gehenkten und die der Henker und auch jener, die vom Leben barmherzig berauscht, sich in Sicherheit währen. Wenn schon der Liebesseufzer die Sprache bricht, um viel mehr das röcheln der Geschundenen.
Umso beredter ist das Schweigen um die Leichengebirge. Er sagt:“Wir sind nicht die Letzten“.
Es tut nichts zur Sache, welcher Nation das Fleisch entstammt, das da in Auschwitz in die Krematoriumsöfen geschaufelt wurde, oder in Kroatien und in Bosnien von Bulldozzern in die Grube geschoben wird. Die Kinder in den ratternden Betonmaschinen, so geschah es an den Kindern in Bosnien, sprechen die tonlose Sprache ihrer vorausgegangenen Kameraden aus Dachau, aus Trblinka: „Wir sind nicht die Letzten“
Die Helfershelfer der Henker von damals halten sich die Ohren zu, wenn das Wort „Auschwitz“ fällt. Die Intellektuellen, die Friedensbewegten, die alternativen Hauberlstricker halten sich die Ohren zu wenn das Wort Sarajewo fällt. Wie sie sich die Ohren zuhalten, wenn von den Boatpeople oder von den Killing fields die Rede war. Gewährleistet ist die Kontinuität des Grausen.
Die Kontinuität des Grauens ist solange gewährleistet, als Menschen die Niedertracht aufbringen, einer Ideologie zuliebe ihres Nachbarn Haut zu ritzen. Die Ideologie, welche alles Grauen logisch begründet und damit intellektuell entschuldigt, ist der tiefste Abgrund menschlicher Niedertracht.
Nationalismus, Leninismus, Maoismus, Titoismus, Nationalismaus: Die Leichenhaufen von Auschwitz, der Gulags, Haiphong, Hue, Pnom Penh, Gottschee und Sarajewo werden vergeblich beweint, solange Ideologen sowie halbintellektuelle Halunken sich dazu berufen fühlen, Opfer herbeizuschaffen.
Von Ewigkeit, von Seligkeit, von Heil gar keine Spur auf Zoran Music`s Blättern. Vielleicht die schwere Genugtuung, hier unter den Galgen von Dachau nicht gelogen zu haben. Die Toten von Dachau sind nicht die Letzten gewesen, die Kinder von Bosnien werden die Letzten nicht sein. Im Herzen der Welt erhebt sich eine Schädel-Stätte. Da capo al fine.
Siegbert Metelko, 1992
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